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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
neu denken
9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2012

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Abstract

Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit' als eine Maßgabe für die Gestaltung betrieblicher Ausbildung

Von:
Settelmeyer, Anke; Bundesinstitut für Berufsbildung, Deutschland

Session: 2
Zeit: Donnerstag, 05.07.2012, 16:30 - 18:30
Ort: FH Saal A
Typ: Paper
Downloads: Präsentation als PDF



Seit vielen Jahren befasst sich die Berufsbildungsforschung (auch) in Deutschland intensiv mit der beruflichen Ausbildung Jugendlicher mit Migrationshintergrund, insbesondere mit dem Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Ausbildung und dabei wirksamen Selektionsprozessen (vgl. z.B. Beicht, Granato 2011, Imdorf 2008). Deutlich weniger Arbeiten und entsprechend Erkenntnisse liegen dagegen zur Phase der Ausbildung selbst vor: zu den Schwierigkeiten von Auszubildenden mit Migrationshintergrund bzw. zu spezifischen Ressourcen, die diese im betrieblichen Kontext einsetzen (vgl. Quante-Brandt, Grabow 2008).
Das kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekt „Migrationshintergrund und Handlungskompetenz“ (Bethscheider, Hörsch, Settelmeyer 2011) befasste sich mit ausbildungsbezogenen Fragestellungen. Ziel des Projekts ist es, festzustellen, ob und wenn ja, welche migrationsspezifischen Aspekte in der betrieblichen Ausbildung deutlich werden und wie diese im Hinblick auf ‚Zugehörigkeit‘ zu interpretieren sind. Mittels qualitativer, leitfaden-gestützter Interviews wurden 40 Auszubildende mit Migrationshintergrund und Ausbildende aus den Berufen Friseur/in und Groß- und Außenhandelskaufmann/-frau zu ihrer Ausbildung allgemein und zu migrationsspezifischen Aspekten befragt; Sampling und Auswertung erfolgten in Anlehnung an die Grounded Theory Methodologie.
Die theoretische Grundlage des Projekts stellt die Perspektive der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit von Mecheril (2003) dar. Er hat sich mit Fragen von Selbstverständnis und Fremdbeschreibung bei Menschen mit Migrationshintergrund befasst und Analysekriterien entwickelt, die einen genauen Blick auf Interaktionen zwischen - hier – Auszubildenden mit Migrationshintergrund und Kolleg/innen, Ausbildenden und Kundschaft ermöglichen. Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit wird konstituiert durch Mitgliedschaft (formale Kriterien, z.B. Staatsangehörigkeit, und informelle Mitgliedschaftssignale, z.B. das Aussehen und normative Verständnisse), Wirksamkeit (die Handlungsfähigkeit betreffend) sowie die je individuelle Verbundenheit der Personen zu mehreren natio-ethno-kulturellen Kontexten. Sie umfasst sowohl Situationen, in denen Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen selbstverständlich geteilt werden und folglich Zugehörigkeit nicht in Frage steht, als auch Situationen, in denen Unterschiede zwischen ‚Wir‘ und ‚den Anderen‘ gemacht werden. Letztere können dazu führen, dass sich Personen als nicht zugehörig fühlen bzw. nicht als zugehörig angesehen werden.
Im Hinblick auf das Rahmenthema der Konferenz „Neue Lernwelten als Chance“ verstehe ich ‚natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit befördern‘ als normatives und idealtypisches Ziel für die Gestaltung betrieblicher Ausbildungspraxis, das nicht nur soziale Aspekte der Ausbildung und Zusammenarbeit im Betrieb, sondern unmittelbar auch die Handlungsfähigkeit der Auszubildenden umfasst.
In dem Vortrag werde ich nach einer kurzen Darstellung der Theorie von Mecheril zunächst die Aspekte natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit nennen, die aus Sicht der Auszubildenden im Betrieb deutlich werden und potentiell (Nicht-)Zugehörigkeit anzeigen können: Es sind Aspekte, die Kundschaft und Kolleg/innen in den Betrieb hineintragen, z.B. durch Herkunftsdialoge und Diskriminierungen, bzw. solche, die Auszubildende selbst einbringen, z.B. nichtdeutsche Herkunftssprachen und normative Orientierungen. Davon ausgehend stelle ich die Bedingungen betrieblicher und persönlicher Art dar, die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit im Betrieb fördern. Überraschenderweise betreffen diese überwiegend solche Bedingungen, die für Auszubildende ohnehin eine gute Ausbildung kennzeichnen; nur in Ausnahmefällen wird ein spezifischer (Handlungs-)Bedarf deutlich.
Der Vortrag versteht sich als Beitrag zu einer Lernkultur, in der cultural mainstreaming in einer Weise Rechnung getragen wird, die das Verständnis dessen erweitert, was als ‚normal‘ erachtet wird.

Literatur:
BEICHT, U./ GRANATO, M. (2011): Prekäre Übergänge vermeiden - Potenziale nutzen. Friedrich-Ebert-Stiftung.
BETHSCHEIDER, M./ HÖRSCH, K./ SETTELMEYER, A. (2011): Handlungskompetenz und Migrationshintergrund: Schulabsolventen und -absolventinnen mit Migrationshintergrund in der Ausbildung. Abschlussbericht. Download unter http://www.bibb.de/de/wlk30125.htm .
IMDORF, C. (2008): Der Ausschluss "ausländischer" Jugendlicher bei der Lehrlingsauswahl - ein Fall von institutioneller Diskriminierung? Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. K.-S. Rehberg. Frankfurt am Main: 2048-2058.
MECHERIL, P. (2003): Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle Mehrfachzugehörigkeit. Münster.
QUANTE BRANDT, E./ GRABOW, T. (2008): Die Sicht von Auszubildenden auf die Qualität ihrer Ausbildung. Regionale Studie zur Qualität und Zufriedenheit im Ausbildungsprozess. Bielefeld.

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