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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
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9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2012

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Abstract

Berufspädagogische Aspekte zum Recht auf Ausbildung – Eine vergleichende Analyse

Von:
Herkner, Volkmar; Universität Flensburg (biat), Deutschland
Andritter, Kerstin; Universität Flensburg (biat), Deutschland

Session: 2
Zeit: Donnerstag, 05.07.2012, 16:30 - 18:30
Ort: FH Saal C
Typ: Paper
Downloads: Präsentation als PDF



Soziale Gerechtigkeit in einer Gesellschaft gilt u. a. als erreicht, wenn jeder Mensch die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu Bildung hat. Darüber besteht in allen Grundpositionen der heutigen Gerechtigkeitstheorien (z. B. Egalitarismus, Libertarismus oder Kommunikarismus) weitgehend Einigkeit. Neben dem Recht auf Bildung und der freien Ausübung eines Berufes gehört dazu aus berufspädagogischer Perspektive die Möglichkeit, einen Beruf erlernen zu können. Es wäre zwar denkbar, diese Option – wie in Österreich geschehen – gesetzlich zu fixieren, doch damit bleiben noch viele Fragen offen.
Im zusammenwachsenden Europa hat die UN-Charta einen weisenden Charakter für alle Mitgliedsstaaten der EU. Aus der Charta lässt sich in den Artikeln 14 (Recht auf Bildung) und 15 (Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten) ein Recht auf Ausbildung herauslesen, aber keine verbindliche Ausbildungsgarantie ableiten. Trotzdem scheint die europäische Gesetzgebung im Vergleich zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus berufspädagogischem Blickwinkel wegweisend.
Noch vor einigen Jahren lastete einem Rechtsanspruch auf Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland eine eher sozialistische politische Einstellung an. Die Verfassung der DDR vom 6.4.1968 war noch zu stark im politischen Gedächtnis präsent. Im Artikel 25 (4) heißt es wörtlich: „(…) Alle Jugendlichen haben das Recht und die Pflicht, einen Beruf zu erlernen.“ Auch die Demonstrationen der Studentenbewegung gegen die Einführung von Studienplatzbeschränkungen und die dazugehörigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Bildung sind im politischen Gedächtnis noch so aktuell, dass sich in der Bundesrepublik bislang keine regierende Partei mit dem Thema befassen mochte. Anträge der Opposition an den Bundestag gibt es einige, zuletzt im Rahmen der Kampagne „Recht auf Ausbildung“ vom DGB. Das Thema ist wieder salonfähig geworden. So gibt es Initiativen, um eine Ausbildungsgarantie umzusetzen. Die Argumente sind nicht neu; versprochen werden durch eine zielgerechte Vermittlung und die Schaffung überbetrieblicher Ausbildungsplätze für ausbildungsreife Jugendliche die Einsparung öffentlicher Gelder, die anderenfalls im sogenannten Übergangssystem und in nachfolgenden Sozialmaßnahmen benötigt werden, sowie langfristig eine Reduzierung des Fachkräftemangels.
Wie schon erwähnt geht hier Österreich beispielhaft voran. Bereits Anfang des Jahres 2007 hat die Bundesregierung eine „Bildungsgarantie bis 18 Jahre“ beschlossen. Im Arbeitsmarktservicegesetz ist eine Ausbildungsplatzgarantie für Jugendliche festgeschrieben, die durch eigene Bemühungen nicht in den Ausbildungsmarkt eingegliedert werden können.
Eine einheitliche gesetzliche Regelung in der Bundesrepublik ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Interessant ist aber, inwiefern die aufgespannte Problematik und die Frage des Rechts auf Ausbildung überhaupt ein Thema mit europäischer Dimension ist. Sind die Überlegungen eines Rechts auf Ausbildung für alle Länder in Europa vor allem mit dem Argument der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit anzustreben, oder gibt es bereits in einzelnen Staaten praktizierte rechtliche Rahmenbedingungen? Im Forschungsvorhaben werden die Verfassungen ausgewählter europäischer Länder anhand einer Typologie der nationalen Berufsbildungssysteme – ggf. in Anlehnung etwa an Greinert (2004) oder Schreier (2011) – bezüglich der obigen Fragestellung betrachtet. Anhand einer Clusterbildung werden die Verfassungen der Länder auf den Passus des Rechts auf Ausbildung untersucht und deren Umsetzung analysiert. Studien zu diesem Thema liegen in gesammelter und vergleichender Form noch nicht vor.
Es ist zu erwarten, dass sich nicht in allen europäischen Ländern die Einführung einer Ausbildungsgarantie in die bestehenden Berufsbildungssysteme, wie z. B. das Marktmodell, integrieren lässt. Eine rechtliche Fixierung stellt zudem nur die eine Seite dar. Die Umsetzung eines solchen Anspruchs erzeugt Schwierigkeiten und Fragen, die vor dem Hintergrund nationaler Besonderheiten zu betrachten sind.
Zu eruieren ist, wie in einem zusammenwachsenden Europa eine Gesetzgebung aussehen könnte, die den Besonderheiten der Länder entspricht und jedem Jugendlichen im Sinne der Chancengleichheit ein Recht auf Berufsausbildung und damit die Integration in das Arbeitsleben als Grundlage eines selbstbestimmten Lebens erleichtert. Im Sinne des lebenslangen Lernens und Ermöglichens einer aktiven Teilnahme aller am gesellschaftlichen Leben müsste der Anspruch zudem zu einem „lebenslangen Recht auf umfassende berufliche Bildung“ erweitert werden.

Greinert, W.-D. (2004): Die europäischen „Berufsausbildungssysteme“ – Überlegungen zum theoretischen Rahmen der Darstellung ihrer historischen Entwicklung. In: Europäische Zeitschrift Berufsbildung, Nr. 32, Mai/II, S. 18-26.

Schreier, C. (2010): Modularisierung in der beruflichen Bildung? Paderborn.

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