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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
neu denken
9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2014

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Forum 2.1

Wissenschaftliche Berufs(aus)bildung – ein berufspädagogisches Handlungsfeld?!

Von:
Kreutz, Maren; Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Dittmann, Christian; Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Meyer, Rita; Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Ahrens, Daniela; Universität Bremen
Anslinger, Eva; Universität Bremen
Heibült, Jessica; Universität Bremen
Müller, Moritz; Universität Bremen

Paper Session: 2
Zeit: Donnerstag, 03.07.2014, 17:15 - 19:15
Ort: MAW Großer Saal
Typ: Forum
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Angesichts eines drohenden Fachkräftemangels und der steigenden betrieblichen Nachfrage nach einem „beruflich-akademischen“ Bildungstyp (vgl. Spöttl 2012) kommt der hochschulischen Weiterqualifizierung Berufserfahrener ein immer höherer Stellenwert zu. Damit nimmt der Druck auf das Bildungssystem zu, entsprechende Qualifizierungsmöglichkeiten bereitzustellen. Mit dem Beschluss der KMK vom 06.03.2009 wurde ein maßgeblicher Schritt zur Erweiterung der Hochschulzugangsberechtigung für beruflich Qualifizierte ohne Abitur getan. Zudem fördern bildungspolitische Programme aktuell die Konzeption berufsbegleitender, weiterbildender Studienmodelle. Im Zuge der fortschreitenden „Dekontextualisierung beruflichen Lernens“ (Meyer 2000, S. 207) entgrenzt sich der Erwerb beruflich relevanter Qualifikationen und Kompetenzen somit auch in den akademischen Bildungsbereich. Werden Akademisierungsprozesse aus berufspädagogischer Perspektive diskutiert, stellt sich die Frage, inwiefern eine Erweiterung beruflicher Handlungskompetenz am Lernort Hochschule realisiert werden kann. Ziel des Forums ist die Öffnung akademischer Bildung für beruflich Qualifizierte aus struktureller, didaktischer und biographischer Perspektive zu reflektieren sowie Forschungs- und Handlungsfelder aufzuzeigen.

Der Beitrag von Daniela Ahrens diskutiert die Frage, inwiefern die formal hergestellte Durchlässigkeit mit sozialen Passungsproblematiken einhergeht. Stellt man die Erfahrungen und empirischen Ergebnisse der Ungleichheitsforschung sowie der unerwarteten Konsequenzen der Bildungsexpansion in Rechnung, dann ist es keineswegs eindeutig, dass die institutionelle Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildungslaufbahnen reibungslos mit einer sozialen Durchlässigkeit einhergeht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es noch offen, ob und inwiefern die im Anschluss an die Bologna-Beschlüsse umgesetzte formale Durchlässigkeit auch zu einer sozialen Durchlässigkeit führt. In der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes konnte die Gruppe der beruflich qualifizierten Studierenden nicht gesondert betrachtet werden angesichts ihrer geringen Fallzahl. Im Sommersemester 2012 besaßen 83 % der Studierenden die allgemeine Hochschulreife. Der Beitrag nimmt die Öffnung der Hochschule für beruflich Qualifizierte („Dritter Bildungsweg“) zum Anlass nach den Effekten beruflicher Sozialisation sowie die dem Beruf inhärenten Bildungsprozesse zu fragen. Im Fokus steht die Passung bislang getrennter Bildungssysteme. Mit dem Passungsbegriff wird die Passförmigkeit von Subjekt und Bildungsinstitution, von Biographie und institutionellen Anforderungen sowie Limitationen aufgezeigt (vgl. Helsper/Kramer 2010) .

Die Besonderheit beruflicher Weiterqualifizierung an Hochschulen ist in der direkten Kooperation zwischen Wissenschaftlern und Berufspraktikern zu sehen. Der berufliche Erfahrungshintergrund der Lernenden ist durch praktische Denk- und Lösungsmuster geprägt. Lerninteressen oder auch Qualifizierungsbedarfe resultieren größtenteils aus beruflichen Handlungszusammenhängen und basieren auf einem breiten Spektrum an praktischen Vorerfahrungen. Berufsbegleitende Qualifizierungskonzepte konstituieren sich damit auf der Ebene einer realen Praxis, die nicht mehr länger auf Simulation angewiesen ist. Die Studierenden bringen ihre berufspraktischen Erfahrungen aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart in das Studium ein, damit wird die Praxis zu einem unmittelbaren Bestandteil von Lehr- und Lernprozessen. Über die Vermittlung instrumentellen Wissens hinaus gilt die Förderung der Reflexivität der Teilnehmer als eine der Hauptaufgaben akademischer Weiterbildung (vgl. Cendon 2013). Allerdings wird bisher kaum thematisiert, wie eine theoriegeleitete Reflexion beruflicher Praxis an der Schnittstelle zwischen Berufs- und Hochschulbildung systematisch realisiert werden kann bzw. in der Praxis bereits realisiert wird. Der Beitrag von Maren Kreutz reflektiert die didaktischen Herausforderungen einer berufsbezogenen Neuorientierung für Hochschulen. Die Parallelität von Berufstätigkeit und Lernen erfordert, so die leitende These, (neue) didaktische Handlungsformen, die eine Verzahnung von beruflichem und wissenschaftlichem Wissen (vgl. Pfeiffer 2012) am Lernort Hochschule realisieren können. Auch wäre hier zu prüfen, ob bewährte didaktische Konzepte der Berufsbildung gegebenenfalls auf die Hochschuldidaktik übertragen werden könnten.

Beruflich Qualifizierte ohne Abitur, die sich nach einer Phase der Erwerbstätigkeit für ein Studium entscheiden, spielen im Kontext des Lebenslangen Lernens eine besondere Rolle. Die Aufnahme eines Studiums stellt für sie ein Anschlusslernen bzw. ein Anknüpfen an vorher Gelerntes dar (vgl. Faulstich/Grell 2005, S. 27), nachdem sie in ihrer Bildungsbiographie bereits verschiedene Lernerfahrungen in unterschiedlichen Bildungskontexten gesammelt haben. Erkenntnisse über die Gruppe derer, die den Weg an die Hochschule tatsächlich gehen, dafür ihre Berufstätigkeit aufgeben und ein grundständiges Studium beginnen, existieren bislang kaum. Eva Anslinger, Jessica Heibült und Moritz Müller stellen in ihrem Beitrag erste Befunde aus dem qualitativen Forschungsprojekt „Lernbiographien von Studierenden des dritten Bildungsweges“ vor. Sie stellen fest, dass bestimmte Lernerfahrungen in verschiedenen Lernumgebungen Einfluss auf die Studienentscheidung und die Bewältigung des Übergangs Beruf-Hochschule haben. Besonders Erfahrungen aus der Phase der Berufstätigkeit spielen in der Lernbiographie retrospektiv für die Studierenden eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung, ein Studium aufzunehmen. So lassen sich unterschiedliche Muster von Diskrepanzerfahrungen im Rahmen der Berufstätigkeit erkennen, die zum Wunsch eines beruflichen Aufstiegs oder einer beruflichen Neuorientierung durch ein Studium führen. Darüber hinaus nutzen einige beruflich Qualifizierte das Studium über den „Dritten Bildungsweg“ auch, um verpasste Bildungschancen nachzuholen. Erste Befunde deuten zudem darauf hin, dass ein Rückgriff auf bereits gemachte Lernerfahrungen hilfreich sein kann, um Hindernisse in der Phase des Übergangs und zu Beginn des Studiums zu bewältigen. Abschließend wird erörtert, ob die ersten Studienerfahrungen der Befragten den Erwartungen entsprechen.

Mit der Implementierung berufsbegleitender Studienmodelle verbinden sich neue berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und Karriereperspektiven für berufstätige Absolventen einer Erstausbildung. Ihre von grundständig Studierenden divergierenden Lebensumstände und Arbeitsformen erfordern gleichwohl eine teilnehmerorientierte Studiengangskonzeption (vgl. Dobischat et al. 2010; Wolter 2010). In diesem Zusammenhang besteht Bedarf nach differenzierten Erkenntnissen über die Lernanforderungen und -interessen berufstätiger Studierender. Der Beitrag von Christian Dittmann fragt, inwiefern sich gemeinsame motivationale Deutungsmuster naturwissenschaftlich-technischer Berufspraktiker in berufsbegleitenden Studienmodellen im Hinblick auf berufliche Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse erkennen lassen: Erkenntnisse der Milieuforschung implizieren (vgl. Vester 2012), dass Angehörige naturwissenschaftlich-technischer Berufsgruppen gemeinsame Habitusmuster und damit zusammenhängende Bildungsaspirationen und Dispositionen aufweisen. Berufsbegleitend Studierende naturwissenschaftlich-technischer Berufsgruppen streben mit der Aufnahme eines fachaffinen Bachelorstudiums, so die zentrale These des Beitrages, die Steigerung ihrer individuellen Beruflichkeit hin zu modernen Professionsformen (vgl. Meyer 2000; 2012) an. Gleichzeitig stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen nach der Restrukturierung von berufsgruppenspezifischen Habitus und damit einhergehenden Entfremdungs-prozessen (vgl. El-Mafaalani 2012) berufsbegleitend Studierender von ihren Herkunftsmilieus.



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