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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
neu denken
9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2014

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Paper

Ene, mene, mu ... Zur Rolle der Ausbildungsstruktur und des Migrationshintergrunds für einen frühen Schulabgang in Österreich

Von:
Moser, Winfried; Institut für Kinderrechte und Elternbildung, Österreich
Lindinger, Korinna; Institut für Kinderrechte und Elternbildung, Österreich
Hannes, Caterina; Institut für Kinderrechte und Elternbildung, Österreich

Paper Session: 1
Zeit: Donnerstag, 03.07.2014, 14:15 - 16:15
Ort: FH Seminarraum 3
Typ: Paper
Downloads:Präsentation als PDF



Bildungsausstieg nach der Pflichtschule ist eine individuelle und gesellschaftliche Problematik mit langfristigen Konsequenzen und hohen Folgekosten. In Politik, Forschung und Öffentlichkeit wird der Migrationshintergrund von Jugendlichen als Hauptsrisikofaktor für einen frühen Austritt aus der Schule thematisiert. Die Ausgangslage scheint klar zu sein: Jugendliche mit Migrationshintergrund scheiden deutlich früher aus dem österreichischen Bildungssystem aus als autochthone Gleichaltrige. Rund 18 Prozent der 15- bis 19-Jährigen aus zugewanderten Familien absolvieren nach der Pflichtschule keine weitere betriebliche oder schulische Ausbildung. Ihr Risiko für einen frühen Bildungsausstieg ist damit - auf den ersten Blick - mehr als dreimal so hoch wie bei Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund, von denen nur 5 Prozent zur Gruppe der frühen SchulabgängerInnen zählen (Moser 2011; vgl. Steiner 2009; vgl. Dornmayer/Nowak 2012).

Da eine weiterführende Ausbildung wesentlich für die kurz- und langfristige Erwerbseinbindung ist, beschäftigt sich der öffentliche Diskurs - gefüttert durch zahlreiche Studienergebnisse - intensiv mit dem „Nachholbedarf“ der Eingewanderten und ihrer Kinder. Der Grund für den „Förderbedarf“ oder das „Sitzenbleiben“ einer Bevölkerungsgruppe wird vornehmlich im Migrationshintergrund gesucht - einem über Fremdzuschreibung gemessenen Individualmerkmal. Anderen Einflussfaktoren, allen voran dem Bildungshintergrund der Jugendlichen, wird hingegen wenig öffentliche Beachtung geschenkt – nicht zuletzt, weil letzterer in den für die arbeitsmarktpolitische Steuerung (und Arbeitsmarktforschung) wichtigen Datenbeständen (Mikrozensus, AMS-Daten) nur in Ansätzen abgebildet ist.

Durch die defizitorientierte Perspektive werden nur die Charakteristika der Zugewanderten in den Blick genommen, während die Verantwortung der Aufnahmegesellschaft außen vor bleibt. Ignoriert wird insbesondere, dass der Qualifizierungsprozess junger Menschen für den Arbeitsmarkt in spezifischen, institutionalisierten Strukturen stattfindet, die für die Platzierungschancen junger Menschen konstituierend sind.

Mit dem Vortrag wird für einen Paradigmenwechsel in der arbeitsmarkt- und bildungspolitschen Integrationsdebatte plädiert - weg von der Fixierung auf die Defizite von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, hin zu einer Analyse der institutionellen Bedingungen, welche die in zahllosen Untersuchungen immer wieder aufs Neue bestätigte Ungleichheit zwischen Jugendlichen aus zugewanderten und alteingesessenen Familien beständig reproduzieren, denn durch einen auf individuelle Defizite fokussierten Blick bleiben gesellschaftliche Integrationskontexte, wie die Struktur des Bildungssystems oder des Arbeitsmarktzugangs, unbeachtet.

Mittels logistischer Regressionen auf Datenbasis der Arbeitskräfteerhebungen 2004-2011 wird analysiert, wie effektiv das Schulausstiegsrisiko 15- bis 19-Jähriger durch den Indikator Migrationshintergrund wirklich beschrieben werden kann, und ob durch diesen Blickwinkel andere, inhaltlich wie kausal besser interpretierbare Indikatoren verdeckt werden. Danach werden die Auswirkungen des Verhältnisses zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung auf der Sekundarstufe II auf das Schulausstiegsrisiko von Jugendlichen mit Migrationshintergrund untersucht.

Es kann (1) gezeigt werden, dass der Indikator Migrationshintergrund nach Berücksichtigung nur weniger Kovariaten seine Erklärungskraft für das Schulausstiegs-Risiko 15- bis 19-Jähriger weitgehend verliert. Die Wirkung des Migrationshintergrunds wird bei univariater Betrachtung so stark überschätzt, dass eine isolierte Betrachtung dieses Merkmals sich im Grunde verbietet. Analysen sollten daher entweder den sozio-ökonomischen Hintergrund und die Bildungsbiographie mitberücksichtigen oder auf den Indikator Migrationshintergrund gänzlich verzichten.

Außerdem interagiert (2) das Schulausstiegsrisiko Jugendlicher mit Migrationshintergrund signifikant mit dem Anteil der betrieblichen Lehre am Ausbildungsangebot eines Bundeslandes auf der Sekundarstufe II. Ein stark auf die Lehrausbildung konzentriertes regionales Bildungsangebot schützt zwar vor Ausbildungsabbruch, aber es schützt selektiv nur autochthone Jugendliche. Jugendliche mit Migrationshintergrund unterliegen hingegen in solchen Regionen einem wesentlich erhöhten Risiko, frühzeitig aus dem Bildungssystem auszuscheiden. In Österreich betrifft das besonders die westlichen Bundesländer Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg, aber auch die Steiermark (vgl. Moser 2011, 2012).

Der Vortrag beruht auf einem begutachteten wissenschaftlichen Artikel, der demnächst in der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie erscheinen wird.



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