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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
neu denken
9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2016

Paper

Prüfen betrieblicher Prozesskompetenz – (wie) geht das?

Von:
Saniter, Andreas; ITB Uni Bremen, Deutschland
Bremer, Rainer; ITB Uni Bremen, Deutschland

Typ: Paper

Wohl kaum ein Thema der Beruflichen Bildung ist in den letzten Jahren, auf europäischer wie auf jeweils nationaler Ebene, so intensiv gefordert bzw. kritisch diskutiert worden wie das der Kompetenzorientierung. Nur beispielhaft seinen hier zwei Aussagen wiedergegeben, so fordern der europäische Rat und die Vertreter der Regierungen der Mitgliedsstaaten von diesen, „sicher[zu]stellen, dass die Lernenden bei der beruflichen Erstausbildung sowohl spezifische berufliche Kompetenzen als auch breitere Schlüsselkompetenzen, einschließlich transversaler Kompetenzen, erwerben […]“ (EU 2010). Für Österreich konstatieren Mayerl, & Schlögl hingegen ein differenziertes Bild: „Für den Teilbereich der Berufsschule als die betriebliche Ausbildung fördernde, ergänzende und erweiternde Teilzeitschule (vgl. §46 SchOG) liegen […] für alle Lehrberufe kompetenzorientierte Rahmenlehrpläne vor und die Umsetzung in Landeslehrpläne ist in Bearbeitung.“ (Mayerl, M. & Schlögl, P. 2016); sich jedoch: „[i]n der beruflichen Bildung, insbesondere der betriebsbasierten Lehrausbildung, […] die Kompetenzorientierung bisher nur bedingt entfalten [konnte]“ (Mayerl, M. & Schlögl, P. 2016). Als eine der Ursachen stellen die Autoren heraus, dass von Seiten der Sozialpartner eine Überreglementierung der (betrieblichen) Ausbildungspraxis befürchtet wird. Die partielle Spezifität der betrieblichen Verfahren, Arbeitsorganisation, Kommunikations- und Hierarchiestrukturen ist eine generelle Eigenschaft dualer Ausbildungsstrukturen; als Folge sind auch die in dem Lernort Betrieb von Auszubildenden erwerbbaren Kompetenzen nicht vergleichbar denen des Lernortes Schule zu standardisieren.

Eingedenk dieser Ausgangslage wurde in der Neuordnung der deutschen Metall- & Elektroberufe (2004) das sogenannte Variantenmodell eingeführt, das es Betrieben erlaubt, beim 2. (abschließenden) Teil der gestreckten Abschlussprüfung zwischen einer standardisierten Aufgabe und einem spezifischen Betrieblichen Auftrag zu wählen. Die Ordnungsmittel stellen klar, dass es sich beim BA um einen im Betrieb anfallenden Auftrag handelt, der durchgeführt werden soll. „Die Auftragsdurchführung wird vom Prüfling in Form praxisbezogener Unterlagen dokumentiert und im Rahmen eines Fachgespräches erläutert; zusätzlich kann eine Präsentation erfolgen“ (Empfehlung 158, S. 20, 2013). Gut 10 Jahre nach der Einführung des Variantenmodells haben wir uns gefragt, welche Erfahrungen in der Praxis, konkret durch die Prüfer, gesammelt wurden.

Hierzu haben wir in allen 16 Kammerbezirken des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfahlen Workshops durchgeführt, an denen insgesamt 301 Prüfer der Metall- und Elektroberufe teilnahmen. In den semi-strukturierten Workshopgesprächen wurden das Variantenmodell als solches, die spezifischen Herausforderungen eines Betrieblichen Auftrags wie beispielsweise die Authentizität sowie Gerechtigkeitsaspekte (z. B. unterschiedliche Komplexität verschiedener BA) diskutiert. Uns kam es darauf an, hinter den Praxisschilderungen die leitenden Handlungsorientierungen, Erfahrungen und ggf. Konflikte bzw. Dilemmata zu identifizieren.

Kurz zusammengefasst ergaben die Erfahrungen und Einschätzungen der äußerst engagierten Prüfer ein sehr ausdifferenziertes Bild; Fundamentalkritik („Variantenmodell abschaffen“) wurde selten geäußert – gleichzeitig wurden jedoch Unsicherheiten bzw. ein häufiges Unbehagen bezüglich des konkreten Durchführens der Prüfungsvariante Betrieblicher Auftrag deutlich – nicht zuletzt bedingt durch die mangelnde Operationalität der in den Ordnungsmitteln vorgegebenen Kompetenzbegriffe.

Aus diesen Ergebnissen konnten Empfehlungen auf drei Ebenen erarbeitet werden, die eine Weiterentwicklung des Variantenmodells

* durch Präzisierungen der begleitenden Materialien der Kammern (z. B. Kriterien der Genehmigung der Variante BA)

* durch Schulungen der Prüfer (z. B. Fragetechniken)

* und durch Berücksichtigung in den Ordnungsmitteln (z. B. Eröffnung eines flexiblen Zeitfensters zu Bearbeitung des BA um den realen Arbeitsprozessen je Betrieb näher zu kommen)

ermöglichen.

Zum Vortag kommen ausgewählte Empfehlungen und ihre jeweiligen Herleitungen aus den Erfahrungen der Prüfer; wir wären an einer Einschätzung aus österreichischer Perspektive zum Stand der deutschen Diskussion interessiert.

Mayerl, M. & Schlögl, P. (2016): Berufsentwicklung in Österreich. Alte und neue Herausforderungen durch Kompetenzorientierung

http://www.bwpat.de/ausgabe/29/mayerl-schloegl

Empfehlung 158 (2013): Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zur Struktur und Gestaltung von Ausbildungsordnungen. http://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA158.pdf.

EU 2010: Prioritäten einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit bei der beruflichen Bildung im Zeitraum 2011-2020 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:42010Y1201%2801%29&from=EN

Internetverweise: besucht am 26.01.2016



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