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BBFK 2024

Berufsbildung in Zeiten des Mangels

Handlungserfordernisse
neu denken
9. österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz am 3.-5.07.2024 in Innsbruck

Abstracts 2012

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Abstract

Komplexe Lernwelten qualitativ erforschen

Von:
Pessl, Gabriele; Institut für Höhere Studien, Österreich

Session: 1
Zeit: Donnerstag, 05.07.2012, 14:00 - 16:00
Ort: FH Saal A
Typ: Paper
Downloads: Präsentation als PDF



Das Schwerpunktthema der diesjährigen Berufsbildungsforschungskonferenz fokussiert „neue Lernwelten“ und in der Ausschreibung werden Begriffe wie „biografisches Phänomen“, „Lernarrangement“ oder „vielfache Entgrenzungen“ verwendet. Diese Begriffe indizieren ein hohes Maß an Komplexität, welches sich auch dort auswirkt, wo es um eine empirische Annäherung an diese Lernwelten geht.
Vor diesem Hintergrund wird mit dem Beitrag die (Berufs)Bildungsforschung angesprochen. Konkret wird die Herstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Rahmen einer Studie diskutiert, welche sich mit „neuen Lernwelten als Chance für alle“ auseinandergesetzt hat. Angesprochen ist damit eine Evaluierung zweier Tiroler Produktionsschulen, die 2010/2011 durchgeführt wurde (Leitner/Pessl 2011). Produktionsschulen lassen sich knapp als „(…) positiv besetzter Lern- und Lebensraum (…) in dem das Lernen am Auftrag in den Werkstätten die zentrale pädagogische Herausforderung darstellt“ (Gentner, Bojanowski 2008: 8) beschreiben. Die „Chance für alle“ wird dabei als Chance für diejenigen übersetzt, die in „alten“ Lernwelten vielfältige Exklusionen erfahren haben (vgl. Leitner/Pessl 2011; Steiner et al.2010) – im Falle der Tiroler Produktionsschulen sind dies arbeitsmarktferne Mädchen bzw. junge Frauen mit und ohne Migrationshintergrund.
Kernstück des Beitrags ist eine Auseinandersetzung mit dem Forschungsprozess der oben genannten Evaluierung. Ein wesentliches Forschungssinteresse, das dabei aufgegriffen wurde, richtet sich auf die Strukturen des Forschungsfeldes Produktionsschule und die Reproduktion typischer Ordnungen darin mit dem Anspruch zu verstehen, was in der Lernwelt „Produktionsschule“ passiert. Daher wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt, das um quantitative Elemente ergänzt wurde. Zum Einsatz kamen teilnehmende Beobachtung, offene bzw. narrative Interviews und Fokusgruppendiskussionen neben der Analyse von Monitoringdaten und einer Fragebogenerhebung. Mit dem qualitativen Fokus konnten Potenziale genuin qualitativer Forschung genutzt werden (vgl. Froschauer/Lueger 2009), dieser Fokus hatte aber auch Verunsicherungen zur Folge. Die Potenziale auf der einen, Verunsicherungen auf der anderen Seite umspannen den Beitrag. Auf der Seite der Potenziale lassen sich dabei (nicht erschöpfend) die
Relevanzsetzungen sowie Strukturierungen durch das Feld im Forschungsprozess und die
Wahrnehmung der ForscherInnenrolle sowie deren Interaktionen im Feld als Erkenntnisanlass
festhalten (vgl. Lueger 2000). Auf der Seite der Verunsicherungen ist primär das Verständnis von der Generalisierbarkeit der qualitativen Ergebnisse angesprochen mit der typischen Frage: Wie aussagekräftig ist ein Einzelfall? Eine Klammer über diese beiden Seiten bildet ein bestimmtes Konzept der Generealisierung von Forschungsergebnissen: Die theoretische Verallgemeinerung (vgl. Bohnsack 2003). Dabei geht es darum, Details (z.B. die Entscheidung für ein bestimmtes Thema durch die InterviewpartnerIn) in einen Gesamtzusammenhang einzubetten und über die Dualität von Einzelnem und Allgemeinem die Strukturen des Forschungsfeldes zu rekonstruieren. Dass Verallgemeinerung abseits von statistischer Verallgemeinerung passieren kann, führt zu Verunsicherungen, die im Zuge der Argumentation der Ergebnisse eine wesentliche Rolle spielen.
Diese theoretischen Überlegungen werden im Beitrag an das Forschungsprojekt zu den Tiroler Produktionsschulen rückgebunden. Damit sind zwei Zielsetzungen verbunden. Zum einen geht es um eine konkrete Veranschaulichung der Argumentation: Die methodologische Ebene, auf welcher oft mit wohlklingenden, aber Fragen auslösenden Begriffen operiert wird, wird auf Basis einer konkreten Studie begreifbar gemacht. Zum anderen soll aufgezeigt werden, dass ein bestimmter methodischer Weg, auf den im Zuge eines Forschungsprozesses die Wahl fällt, Implikationen dahingehend aufweist, welche Ergebnisse am Ende des Forschungsprozesses stehen und dass die Kommunikation dieser Ergebnisse eine Herausforderung darstellt.

Referenzen:
Bohnsack R (2003): Dokumentarische Methode und sozialwissenschaftliche Hermeneutik, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, 6/4, 550-570.
Froschauer U/Lueger M (2009):Interpretative Sozialforschung: Der Prozess, Wien.
Gentner C/Bojanowski A (2008): Vorwort, in: Gentner C (Hg.) Produktionsschulen im Praxistest. Untersuchungen zum Landesprogramm Produktionsschulen in Mecklenburg-Vorpommern, Münster et al., 7-10.
Leitner A/Pessl G (2011): Evaluierung „Tiroler Produktionsschulen VIA und LEA“. Endbericht, IHS: Wien, auf: http://content.tibs.at/pix_db/documents/Eval_Produktionsschulen_Endbericht_LANG.pdf
Lueger M (2000): Grundlagen qualitativer Feldforschung, Wien.
Steiner M/Pessl G/Wagner E/Plate M. (2010): ESF Beschäftigung Österreich 2007-2013, Bereich Erwachsenenbildung, Zwischenbericht 2010. Evaluierung im Auftrag des BMUKK, Wien.



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